ISDN, SIP, VoIP und All-IP im Detail –
Ein tiefer technischer Blick auf moderne Kommunikationstechnologien

Die Telekommunikation hat in den letzten Jahrzehnten einen massiven Wandel durchlaufen. Klassische leitungsvermittelte Netze (ISDN) werden nach und nach abgeschaltet, und IP-basierte Lösungen (VoIP, SIP, All-IP) übernehmen die gesamte Kommunikation. In diesem Beitrag möchte ich einen Schritt tiefer gehen: Wir schauen uns die Protokolle, Ports und konkrete Beispiele an, die den Unterschied zwischen den Technologien verdeutlichen.

ISDN – Leitungsvermittlung mit D-Kanal-Signalisierung

ISDN (Integrated Services Digital Network) ist ein leitungsvermitteltes Netz, bei dem Sprach- und Steuerdaten strikt getrennt übertragen werden:

  • B-Kanäle (Bearer): 64 kbit/s pro Kanal für Sprach- oder Nutzdaten
  • D-Kanal (Delta): 16 kbit/s für Signalisierung (bei Basisanschluss)

Protokollstapel ISDN (vereinfacht)

  • Layer 1 (Physisch): 2-Draht-Leitung (S0-Bus, Up0), 144 kbit/s Bruttodatenrate
  • Layer 2: LAPD (Link Access Protocol for the D-Channel)
  • Layer 3: Q.931 (Signalisierungsprotokoll für Rufaufbau/-abbau)

Beispiel für eine Q.931 SETUP-Nachricht (stark vereinfacht):

Message Type: SETUP (0x05)
Bearer Capability: Speech
Calling Party Number: +4355132100 
Called Party Number: +436642008100

Damit konnte ISDN mehrere gleichzeitige Dienste (Sprache, Fax, Daten) parallel betreiben – allerdings mit starren Kanalstrukturen und limitierter Skalierbarkeit.

VoIP – Sprache als IP-Pakete

Mit VoIP (Voice over IP) wird Sprache paketvermittelt übertragen. Anders als bei ISDN gibt es keine festen Kanäle – Sprachdaten werden in IP-Pakete gekapselt und wie normaler Internetverkehr verschickt.

Typischer Protokollstapel VoIP

  • Layer 3: IP (IPv4/IPv6)
  • Layer 4: UDP (in seltenen Fällen TCP)
  • Layer 5+: RTP (Real-time Transport Protocol) für Sprachübertragung

Standard-Ports VoIP

  • RTP: dynamisch, meist UDP 10000–20000
  • RTCP: Kontrollprotokoll für RTP, Portbereich identisch
  • SIP (für Signalisierung, siehe unten): Standard-Port 5060 (UDP/TCP), 5061 (TLS)
RTP (Real-time Transport Protocol)
Version: 2
Payload Type: G.711 (PCMU)
Sequence Number: 34567
Timestamp: 123456789
SSRC: 0x9a12bc34
Payload: [160 Bytes Sprachdaten]

Sprachqualität hängt bei VoIP von Codecs (z. B. G.711: 64 kbit/s, G.729: 8 kbit/s, Opus: variabel) sowie von Latenz und Paketverlusten ab.

SIP – das Steuerprotokoll für VoIP

Während RTP die Sprachdaten überträgt, übernimmt SIP (Session Initiation Protocol, RFC 3261) die Signalisierung. Es ist ein textbasiertes Protokoll, das stark an HTTP erinnert.

Standard-Ports

  • SIP über UDP/TCP: 5060
  • SIP über TLS (verschlüsselt): 5061

Typische SIP-Nachrichten

Beispiel: SIP INVITE (verkürzt)

INVITE sip:Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. SIP/2.0
Via: SIP/2.0/UDP 192.168.1.10:5060;branch=z9hG4bK-524287-1---aabbccdd
Max-Forwards: 70
From: "Max Mustermann" ;tag=12345
To:
Call-ID: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
CSeq: 1 INVITE
Contact:
Content-Type: application/sdp
Content-Length: 200
v=0
o=- 12345 67890 IN IP4 192.168.1.10
s=VoIP Call
c=IN IP4 192.168.1.10
t=0 0
m=audio 10000 RTP/AVP 0
a=rtpmap:0 PCMU/8000

👉 Der untere Teil (SDP = Session Description Protocol) beschreibt, wie die Medienströme laufen sollen (Port 10000, Codec PCMU/G.711).

SIP ist modular erweiterbar und unterstützt neben Telefonie auch Video (H.264, VP8), Messaging (SIMPLE) oder Presence-Informationen.

All-IP – Konsolidierung aller Dienste

All-IP ist keine einzelne Technologie, sondern eine Netzstrategie: Alle Kommunikationsdienste – Telefonie, Internet, TV – laufen über eine gemeinsame IP-Infrastruktur.

Vorteile

  • Reduktion paralleler Netze (kein ISDN-Core mehr, nur noch IP-Backbone)
  • Flexiblere Bereitstellung neuer Dienste (Cloud-Telefonie, Unified Communications)
  • IPv6-Support, QoS-Mechanismen (DiffServ, VLAN-Priorisierung für VoIP)

Typische Architektur (vereinfacht)

Endgerät (SIP-Phone / Softphone)
         
  SIP Signalisierung (Port 5060/5061)
         
    VoIP-Provider SBC (Session Border Controller)
         
RTP Sprachströme (UDP Ports 1000020000)
         
  All-IP Netz (Carrier Backbone)
         
Gegenstelle (SIP-Phone / PSTN-Gateway)

Unterschiede und Zukunftssicherheit

Technologie Typ Signalisierung Sprachübertragung Status
ISDN leitungsvermittelt Q.931 (D-Kanal) 64 kbit/s B-Kanäle Veraltet
VoIP paketvermittelt unterschiedlich (meist SIP) RTP über UDP Standard
SIP Signalisierungsprotokoll Textbasiert (RFC 3261 nicht zuständig (nur Steuerung) Standard
All-IP Netzarchitektur SIP (Signalisierung), RTP (Medien) Alles über IP Zukunft

Fazit:

  • ISDN wird weltweit abgeschaltet.
  • VoIP ist die Transporttechnologie der Gegenwart.
  • SIP ist das dominierende Signalisierungsprotokoll.
  • All-IP ist die Infrastruktur, die alles zusammenführt und langfristig Bestand haben wird.

GNU

ISDN am All-IP Anschluss - wer macht denn sowas??

VermittlungsschrankUnlängst wurde mir die Frage gestellt, ob eine ISDN-Telefonanlage an einem All-IP-Anschluss der A1 betrieben werden kann. Die klare Antwort darauf lautet: Jein – es kommt auf die vorhandene Hardware an.

In meinem konkreten Fall ging es um eine AGFEO AS 40 ISDN-Anlage. Diese lässt sich nicht direkt an einem All-IP-Anschluss von A1 betreiben. Der Grund: Die rund 20 Jahre alte AS 40 benötigt einen externen S₀-Bus, also einen Anschluss im NT-Modus (Network Termination) – wie er früher bei ISDN-Anschlüssen üblich war.

Ein möglicher Weg, die AS 40 weiterhin zu betreiben, wäre über ein ISDN-VoIP-Gateway, beispielsweise den Bintec RT1202. Auch wenn solche Gateways gebraucht – etwa über eBay – noch vereinzelt erhältlich sind, ist davon aus heutiger Sicht abzuraten. In der finalen Phase der ISDN-Abschaltung lohnt es sich kaum noch, in eine veraltete Technologie zu investieren, die kurz vor dem endgültigen Aus steht.

In meinem Fall fiel die Entscheidung zugunsten einer modernen All-IP-Lösung leicht. An der alten AGFEO AS 40 waren neben einer analogen Türsprechstelle lediglich ein proprietäres Agfeo-Systemtelefon, ein Faxgerät sowie zwei weitere analoge Telefone mit a/b-Schnittstelle angeschlossen. Teure ISDN-Systemtelefone, die eine Integration in die neue SIP-Infrastruktur erschwert oder verteuert hätten, waren nicht vorhanden.

Ob es überhaupt sinnvoll ist, alte analoge Endgeräte wie Fax oder Türsprechstellen noch in eine neue SIP-Umgebung zu integrieren, ist durchaus diskutabel. Die Faxfunktion beispielsweise dürfte für viele heute kaum noch eine Rolle spielen – ich persönlich habe in den letzten Jahren weder ein Fax gesendet noch empfangen. Etwas anders sieht es bei der Türsprechstelle aus – hier fehlt es nach wie vor an kostengünstigen SIP-Alternativen, die einfach zu integrieren sind.

Wenn hingegen neben einem AVM-Router (z. B. Fritz!Box 7490 oder – teilweise – auch 7590) mit internem ISDN-S₀-Port eine neuere AGFEO-ISDN-Anlage vorhanden ist, die sich am internen S₀-Bus betreiben lässt, kann ein eingeschränkter Weiterbetrieb durchaus noch möglich sein. Doch auch hier ist zu beachten: AVM-Router mit S₀-Schnittstelle werden aktuell nicht mehr hergestellt. Und auch neue ISDN-Anlagen sind praktisch nicht mehr erhältlich, da die großen Telekommunikationsanbieter bereits vor etwa 15 Jahren die strategische Entscheidung getroffen haben, die leitungsvermittelte Technik zugunsten der paketvermittelten IP-Technologie aufzugeben.

Fazit:

Eine All-IP-Lösung ist nicht nur zukunftssicher, sondern lässt sich auch mit überschaubarem Aufwand und geringen Kosten realisieren. Zudem bietet die SIP-Technologie zahlreiche Vorteile – etwa moderne Sprachcodecs, die auch bei geringer Bandbreite eine ausgezeichnete Sprachqualität ermöglichen.

GNU

Anmerkung: Für die in diesem Beitrag angeführten Markennamen, Firmennamen und Warenzeichen gilt: Alle Rechte liegen bei den jeweiligen Inhabern.

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